07.08.2016

(Im Gefängnis der Worte, Folge 3)

Die Kanzlerin zeigt „Erschütterung“

Es ist unglaublich, aber wahr: Nach der Anschlagsserie Ende Juli, die jederzeit eine Fortsetzung erfahren kann, ist die Bundesregierung nicht in der Lage, den Satz über die Lippen zu bringen: „Dies ist ein Angriff auf unser Land“. Die Bundeskanzlerin scheint ihre Aufgabe darin zu sehen, ihren Gemütszustand mitzuteilen. „Erschütternd, bedrückend und auch deprimierend“ hat sie die Anschläge auf der Sommerpressekonferenz am 28.Juli genannt. Haben wir also eine erschütterte, bedrückte und deprimierte Regierung? Das wäre schlimm. Diese Worte enthalten keine Spur von Widerstand und Wehrhaftigkeit.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem in deutschen Regierungskreisen bei Terrorakten häufig gebrauchten Ausdruck, man sei „schockiert“. Das erweckt den Eindruck, es gehe um ein Geschehen, dass wie aus heiterem Himmel auf Deutschland hereingebrochen ist. Und das dies Land völlig unvorbereitet getroffen hat. Vielleicht will die Regierung mit solchen Worten zeigen, dass sie menschliche Regungen hat. Doch das ist doppelt falsch. Denn erstens klingen solche Worte, je öfter sie wiederholt werden, immer mechanischer, immer mehr nach kühler Routine und Verwalten. Und ist es nicht eine zutiefst menschliche Reaktion, wenn man diesem dreckigen, infamen Abschlachten von Menschen mit Abscheu begegnet, und wenn man den feist grinsenden Tätern Hass bis zum letzten Atemzug schwört? Wer sind diejenigen, die den Bürgern in Deutschland solche Gefühle verbieten wollen?

Vor allem aber ist eine solche demonstrative Erschütterung nicht das, was eine Regierung in solchen Fällen beweisen muss. Es ist nicht ihre Aufgabe, mit den Bürgern nur „zusammenzustehen“. Der Staat ist einer anderen Position als die Bürger. Und die Bürger erwarten zu Recht vom Staat, dass er sich ihren Schutz kümmert. Sie erwarten von ihrer Regierung Aussagen, wie sie den Staat auf die anwachsende und im Land umher vagabundierende Gewalt.

Aber spricht aus Merkels Mund überhaupt eine Regierung? Von der Rolle des Staates und seinen Schutzpflichten gegenüber der Gesellschaft war auf der Pressekonferenz kaum die Rede. Das „Wir“ dieser Kanzlerin scheint sich eher an die Bürger zu wenden und ihnen die Verantwortung zu übergeben. Sie sollen „zusammenhalten“, was immer das konkret bedeuten mag. Geht Merkel davon aus, dass „die Gesellschaft“ die entfesselte Gewalt einfangen kann? Auch in den führenden Medien spürt das krampfhafte Bemühen, die Anschläge „gesellschaftlich einzuordnen“ und als Ergebnis individueller Biographien darzustellen. Man versucht, den Terror in Bezeichnungen wie „Amoklauf“ oder „Beziehungstat“ zu bannen. Mit einem anderen Wort: Man privatisiert ihn.

Auf keinen Fall soll der Gedanke zugelassen werden, dass hier ein Verteidigungsfall vorliegt. Das ist aber eigentlich der naheliegende Gedanke. Die Anschläge haben kriegsähnliche Züge. Man darf sich nicht von der Tatsache täuschen lassen, dass der Krieg hier nur halboffiziell deklariert wird. Auch wenn die Motive individuell geäußert werden, so geht es doch immer um Macht. Um die Verschiebung der Machtverhältnisse in einer Straße, einem Stadtviertel, einem ganzen Land. Und die Handlungen sind nicht einfach Kriegshandlungen, sondern Kriegsverbrechen: Angriffe auf die Zivilbevölkerung, aus dem Hinterhalt, mit möglichst großer Brutalität, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Unternommen von Tätern, die sich als „Krieger“ sehen, die sich über jegliches Völkerrecht erhaben fühlen.

Entscheidend ist, dass sich die Anschläge gegen zentrale Rechtgüter der Bundesrepublik richten. Deshalb ist von einem Angriff auf unser Land zu sprechen. Von einem Angriff auf das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Auf die friedliche Versammlung auf Straßen und Plätzen, auf die Unabhängigkeit der Lebensgestaltung von irgendwelchen höheren Geboten, auf die Eigenständigkeit des Rechtsstaates gegenüber jeglicher religiösen Macht und auf das staatliche Gewaltmonopol. Was die Regierungsantwort auf die Anschläge so verheerend macht, ist die Tatsache, dass sie die Bürger dieses Landes nicht als Träger einer gemeinsamen Rechtsposition behandelt. Sie handelt so, als sei die Bundesrepublik Deutschland, die ihre politischen und zivilisatorischen Normen der Westbindung verdankt, nun doch noch neutralisiert worden – gegenüber einem religiös-ideologischen Herrschaftskomplex, der unserer Republik mindestens so fremd ist, wie es im vorigen Jahrhundert der nationalsozialistische und der kommunistische Herrschaftskomplex waren.

Neutralisiert ist auch die Zukunft Deutschlands. Während die Regierung sich noch erschüttert, bedrückt und deprimiert zeigt, wird von manchem Kommentator schon mit dem Gedanken gespielt, dass wir uns an den Terror gewöhnen sollten. „Aber am Terror ändert sich so oder so: nichts“ schreibt Jasper von Altenbockum am Ende seines Kommentars auf der FAZ-Titelseite vom 27. Juli unter der Überschrift „Deutsche Utopie“. Bei seiner Kollegin und Frankreich-Korrespondentin Michaela Wiegel hört sich das einen Tag später so an: „Lange war ein IS-Attentat auf eine Kirche erwartet worden. Und doch war Frankreich nicht darauf vorbereitet. Vor solchen Anschlägen kann der Staat nicht schützen.“ So breiten sich allmählich die kleinen Kapitulations-Erklärungen aus: Zuerst heißt es „Eine absolute Sicherheit kann es nicht geben“ und bald darauf „Man kann sowieso nichts machen“.

Die deutsche Gesellschaft soll sich an ein Leben Tür an Tür mit der Gewalt gewöhnen. Eine Änderung darf sie nicht verlangen. Mehr hat ihre Regierung nicht zu bieten – für die nächsten hundert Jahre nicht.

 

 

(erschienen auf der Webseite „Die Achse des Guten“ am 8.8.2016)