Der Migrationsplan der CSU mag ein kleiner Schritt sein, aber er markiert den entscheidenden Punkt: Souverän ist, wer zurückweisen kann.

Die CSU hat die Verfassungsfrage gestellt

25.Juni 2018

Kaum hatte der Innenminister Seehofer einen Masterplan zur Migrationskrise angekündigt, und dabei den Punkt „Zurückweisung an der Grenze“ genannt, ist ein verdeckter Konflikt zu einem offenen Konflikt geworden. Zwar waren Kommentatoren schnell zur Stelle, die die Angelegenheit auf ein Wahlkampfmanöver der CSU herunterspielen wollten: Oder auf eine Personalie Seehofer gegen Merkel. Auch Kritiker des Merkel-Kurses haben ihre Aufgabe darin gesehen, die Glaubwürdigkeit der Seehofers in Zweifel zu ziehen.

Doch so wird die Tatsache übersehen, dass in dem Konflikt eine tiefere Dynamik wirkt, die von der Entwicklung der Migrationskrise kommt. Diese Krise lässt sich immer weniger durch das normale „Kleinarbeiten“ befrieden. Auch das Versprechen, dass die Zeit alles lösen werde („Wir sind auf einem guten Weg“) überzeugt nicht mehr. Es gibt beim Thema „Migration“ keine Aufbruchstimmung mehr, die über den zerstörerischen Kern der Massenimmigration hinwegtäuschen kann. In diesem Sommer 2018, drei Jahre nach der deutschen Grenzöffnung, kommt die Migrationskrise mit dem Punkt „Zurückweisung“ daher wieder auf die harten Entscheidungen zurück, die man umgehen zu können glaubte.

Gewiss enthält der CSU-Plan vorerst nur eine sehr beschränkte Aktion – die Zurückweisung von bereits in anderen EU-Staaten registrierten Asylbewerbern. Aber damit ist doch schon die grundlegende Scheidelinie sichtbar: Wird der willkürliche Grenzübertritt durch Migranten hingenommen oder wird er verhindert. Hat man hier zu einem ersten kleinen „Nein“ gefunden, wird man auch zum großen „Nein“ an der Südgrenze Europas kommen.

Merkel ist nicht mehr „die Mitte“, sondern nur noch Partei

Mit diesem Schritt der CSU ist etwas geschehen, was in Merkel-Deutschland unbedingt verhindert werden sollte: In die Mitte der politischen Landschaft ist nun eine systematische Gegenposition – in Wort und Tat – eingezogen. Diese Landschaft wird nicht mehr von einem Zentralgebirge bestimmt, das nur von extremen „Rändern“ umlagert wird, sondern sie hat nun zwei Höhenzüge, die sich gegenüberstehen. Und auf einmal steht die Position der Merkel-Mehrheit recht banal da: Man ist für „multilaterale Regelungen“ (und musste das schon auf „bilaterale Regelungen“ zurückfahren) – das höfische Treiben einer Weltregierung („global gouvernance“) ist wieder auf einen Reisebetrieb reduziert und muss aus dem Koffer leben. Das letzte G7-Treffen und auch der EU-Schrumpfgipfel zur Migration zeigten das deutlich. Auf der anderen Seite gewinnt die Wahrnehmung der staatlichen Hoheitsrechte, deren Festlegung und demokratische Kontrolle Kern jeder Verfassungsordnung ist, wieder an Statur. Die Souveränität der Länder bekommt wieder eine fassbare und praktische Bedeutung und führt ihrerseits zu Absprachen und abgestimmtem Handeln.

So stehen sich nun „Global Governance“ und „Verfassungsordnung“ als zwei Höhenzüge der politischen Landschaft gegenüber. Zugleich werden die Bürger veranlasst, ihre Verfassungen mit neuen Augen zu sehen und sie viel ernster und praktischer zu nehmen, als sie das gewohnt waren. Eine Verfassung – und das gilt auch für das deutsche Grundgesetz – ist mehr als ein wohlwollendes Versprechen freundlicher Dinge. Sie legt unfreundliche Dinge fest, deren Durchsetzung aber für die Existenz eines Landes unverzichtbar ist. Deshalb wurden in der neuzeitlichen Geschichte erbitterte Kämpfe um die Verfassungsordnungen der Nationen ausgefochten – in Zeiten, in denen das Leben und Überleben eines Landes nicht leicht, sondern schwer war. Das gilt heute von neuem.

Die CSU treibt nicht irgendein eitles Spielchen, wie die Merkelianer aller Couleur uns weismachen wollen, und sie will auch nicht nur ein paar Maßnahmen an der Grenze durchsetzen, sondern sie will überhaupt das Recht der Deutschen auf ihre Landesgrenze wiederherstellen. Die Migrationspolitik auf diesen Punkt gebracht zu haben, ist ein großes Verdienst. Denn nun geht es um die Verfassungsfrage: Wo wird über den Zugang zum deutschen Territorium entschieden? Wird sie im Land und von seinen Institutionen getroffen, oder entscheiden fremde Mächte nach eigenem Gutdünken?

Ein klarer Fall von unilateralem Handeln: die heutige Massenmigration

An der deutschen Grenze und an anderen europäischen Grenzen – insbesondere an der Südgrenze zwischen den nördlichen und südlichen Mittelmeeranrainern – besteht heute eine eklatante Schieflage. Personen, die über die Grenze ins Land drängen und bekunden, sie strebten „Asyl“ an, erwerben allein durch diesen einseitigen Akt einen Rechtsanspruch auf Aufenthalt, Sozialleistungen und anwaltliche Vertretung – bis zur endgültigen gerichtlichen Klärung, die sich über Jahre hinziehen kann. Eine vorherige, unmittelbare Zurückweisung an der grenze ist nicht zulässig. Ebenso sind Gruppenzurückweisungen unzulässig, selbst wenn die Grenzüberschreitung in einer Gruppe vorgenommen wurde. Das kann man eine Prämie für das Migrieren nennen. Der Migrant nimmt gegenüber dem Staat und Staatsvolk seines Ziellandes einen einseitigen Übergriff vor, ohne nach dessen Einverständnis zu fragen und dies abzuwarten.

Der Merkel-Block in Deutschland gibt sich in diesen Tagen besonders lautstark als Vertreter des Multilateralismus in internationalen Fragen. Er wirft der CSU ebenso wie den EU-Ländern, die schon eine wehrhafte Grenzpolitik praktizieren, vor, sie handelten „unilateral“ – also einseitig. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: Die Grundtatsache der heutigen Migrationskrise besteht im einseitigen Grenzübertritt der Migranten. Wer das deckt und begünstigt – von der Bundeskanzlerin über diverse Behörden und Gerichte bis zu den NGOs und den Kampagnenmeistern der „Flüchtlingsrettung“ – verbreitet das Gift der einseitigen Übergriffigkeit in den internationalen Beziehungen. Die ganze öffentliche Debatte ist von vornherein auf eine Täuschung gebaut, wenn sie die Einseitigkeit des Migrationsaktes verschweigt. Wenn sie so tut, als wäre die Massenmigration ein Naturereignis, dass man als gegeben hinnehmen müsse und dessen Eindringen man nur möglichst breit („solidarisch“) verteilen müsse. Und das soll dann „multilateral“ sein! Das „Ankommen der Migranten“ soll als Fakt hingenommen werden und darf als solcher nicht abgewehrt werden. Diese einseitige Übergriffigkeit soll als allgemeines „Recht“ gelten. Das soll der „zeitgemäße“ herrschende Rechtszustand in Deutschland und Europa sein.

Die CSU hat die Verfassungsfrage gestellt

Nun gibt es durchaus die Mahnung, dass man „nicht alle Migranten aufnehmen“ kann. Hier schwingt eine Ahnung mit, dass etwas nicht stimmt mit der Internationale des Migrierens. Gut. Aber solange das nur ein mahnendes Wort ist, appelliert es im Grunde nur an die Einsicht der Migranten. Auf diese Weise hat man noch keinen anderen Rechtszustand hergestellt und man hat auch noch keine einzige Migrantenkolonne zum Halten gebracht. Erst dann, wenn das souveräne Recht eines Landes auf Verweigerung des Zutritts anerkannt ist und praktiziert wird, können auf dieser Basis die internationalen Beziehungen gestaltet werden. Mit anderen Worten: Wirkliche Multilateralität gibt es nur dort, wo das völkerrechtliche Prinzip der territorialen Integrität gilt. Die heutige Migrationskrise ist dafür ein neuer Prüfstein, den es in diesem Ausmaß in modernen Zeiten noch nicht gab.

Das Anliegen der Zurückweisung, das nun die CSU zu ihrer Sache gemacht hat, nachdem es vorher schon Andere in Europa und in Deutschland vertreten haben, ist kein egoistisches Anliegen. Es ist ein allgemeines Rechtsanliegen, sowohl für die Allgemeinheit eines Landes als auch für eine weltweite, völkerrechtliche Ordnung.

Noch wird versucht, die CSU als Störenfried des politischen „Zusammenhalts“ in Deutschland und Europa hinzustellen und so zu tun, als gäbe es ein intaktes Weiter-So, das nur ja nicht in seinem Lauf gestört werden darf. Aber niemand ist mehr in Lage, irgendein plausibles, überzeugendes Bild der Zukunft zu zeichnen, in das die bisherige Migrationspolitik führen wird. Diese Politik hat keine Perspektive mehr, ihre Lösungen werden immer provisorischer. Sie ist eine Mischung aus Flickwerk und sturem Durchalten. Die Alternative kann nur in einem Zurückkommen bestehen: Ein Zurückkommen auf jene klassischen Mittel des Verfassungsstaates, die man leichtfertig für überholt erklärt hat und außer Kraft gesetzt hat. Das Zurückweisen an der Grenze gehörte noch zum deutschen Asylkompromiss des Jahres 1993, das im Artikel 16a des Grundgesetzes seinen Niederschlag gefunden hat. Andere europäische Länder, die Zurückweisungen praktizieren, können sich dabei ebenso auf ihre Verfassungen berufen.

Auf dieser Linie liegt der Vorstoß der CSU und es ist vollkommen richtig, dass dieser Vorstoß nicht nur vorschlägt, sondern regiert. Wenn der Innenminister Seehofer die Zurückweisungen an der deutschen Grenze in Kraft setzt, handelt er im Sinn des deutschen Grundgesetzes und folgt seinem Auftrag. Wir werden sehen, worauf sich die Kanzlerin beruft, wenn sie dann von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch macht und den Innenminister entlässt. Auf das deutsche Grundgesetzt kann sie sich nicht berufen. Und ihre „europäischen Lösungen“ haben keinen Verfassungsrang, es gibt keine europäische Verfassung – den Referenden in Frankreich und den Niederlanden sei es gedankt. Wird Merkel also in der Schlüsselfrage der Grenzhoheit daran gehen, und ihre Bindung an das „nationale“ Grundgesetz „europäisch“ aufzukündigen?

Wohlan, die Stunde der Wahrheit naht.

 

(erschienen bei „Die Achse des Guten“ am 27.6.2018)