Über neue Außenpolitik, Demagogie beim Wasserverbrauch und Galileo Galilei

Aus dem Notizbuch

Neue Außenpolitik

Mit Beginn des Jahres 2014, so kann die Zeitgeschichte notieren, begann die Rede von der „neuen deutschen Außenpolitik“. „Aktiver“ soll sie sein. Der Außenminister, die Verteidigungsministerin und auch der Bundespräsident haben das Stichwort gesetzt. Clemens Wergin (Welt am Sonntag, 2.2.2014) begrüßt, dass damit „die Zeit der außenpolitischen Bequemlichkeit vorbei“ sei, und lobt den Bundespräsidenten für seine Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz. „Außenpolitik“, so Wergin, „ist in erster Linie eine Frage von Mentalität und Selbstverständnis“. Er sieht in Gaucks Intervention „letztlich einen verantwortungs-ethischen, kennedyschen Impuls“ am Werk. Nun bedeutet Verantwortungsethik allerdings nicht einfach, dass man eine aktive Haltung einnimmt, auch nicht nur, dass man tatsächlich „etwas tut“. Verantwortungsethik zeichnet sich vielmehr dadurch aus (und unterscheidet sich dadurch von der „Gesinnungsethik“), dass sie die Folgen des eigenen Handelns bedenkt. Verantwortungsethisch ist die Bekundung, man habe „das so nicht gewollt“, nicht akzeptabel. Dass man in Deutschland gerne die Pose des weltweiten Warners vor allen möglichen Gefahren einnimmt, ist bekannt. Wenn diese Rolle jetzt „aktiver“ gespielt werden soll, ist nichts gewonnen.  Moritz Schuller hat im Tagesspiegel (14.2.2014) mit einer kleinen Liste vorgeführt, dass das Problem unserer Außenpolitik vielleicht eher der erhobene Zeigefinger ist und nicht die fehlende Aktivität. „An den Amerikanern passt uns die Internetüberwachung nicht. An den Russen ihre Homophobie und ihr imperiales Gehabe nicht. An der Schweiz die Haltung zur Einwanderung. Bei Israel ist es die Siedlungspolitik. An den Türken passt uns nicht, dass sie in die EU wollen, und an den Briten, dass sie aus der EU rauswollen. Wenn man aus diesem Negativprogramm eine aktive Außenpolitik machen will, wird man sich schnell isolieren und nichts bewirken. Und dann doch wieder nur „engagierte“ Reden halten. Oder alle Probleme in endlose „Dialoge“ überführen. Schuller schreibt einen sehr wichtigen Satz: „Gute Außenpolitik erweitert, schlechte Außenpolitik reduziert machtpolitische Optionen; sie erreicht Ziele, statt alles besser zu wissen.“ Welche der beiden Bewertungen der neuen deutschen Außenpolitik wohl Recht behalten wird?

 

Neue Außenpolitik II

Die neue Verteidigungsministerin hat viel über Afrika gesprochen. Sie hat dabei den Eindruck erweckt, als sei ihr nicht klar, dass Afrika ein Kontinent ist und kein Land. Oder wie Christoph Hickmann in der Süddeutschen Zeitung vom 12.2. süffisant bemerkt: „Ein paar ihrer Sätze zu Afrika hätten aus einem missratenen Gemeinschaftskunde-Referat stammen können.“ Das Reden von einem ganzen Erdteil klingt ambitioniert (auch so eine Vokabel der Merkel-Ära), aber die Außen-, Verteidigungs- oder Entwicklungspolitik kann sich immer nur auf bestimmte Territorialstaaten oder Regionen beziehen. Nur hier kann ein Urteil gefällt werden, was möglich und sinnvoll ist. Es gibt keine Realpolitik, die ganze Erdteile bewegt, schon gar nicht von einer mittleren Macht wie Deutschland. Schaut man nun auf die tatsächlichen, militärpolitischen Maßnahmen, fällt das deutsche Engagement gar nicht so ambitioniert aus. Zu Weihnachten wurden deutschen Soldaten von einer Somalia-Mission zurückgezogen, während andere Länder (auch europäische Länder) ihre Kräfte vor Ort ließen.

 

Der weiche Hegemon

Martin Schulz hat in seiner Eigenschaft als EU-Parlamentspräsident eine Rede in der Knesset gehalten. Dabei hat er es für opportun gehalten, die Wasserversorgung von Israelis und Palästinensern zum Thema zu machen. Schulz macht es dem israelischen Staat zum Vorwurf, dass einem Israeli jeden Tag 70 Liter Wasser zur Verfügung stünden, während es bei einem Palästinenser nur 17 Liter seien. Die Zahlen sind falsch. So stehen den Bewohnern palästinensischer Städte 36,7 Kubikmeter pro Kopf und Jahr zur Verfügung, den Bewohnern israelischer Städte 77,6 Kubikmeter (Angaben der palästinensischen Wasserbehörde). Im Osloer Friedensabkommen verpflichtete sich Israel zur Lieferung von 31. Mio. Kubikmeter pro Jahr Wasser an die Palästinenser. Es hat diese Lieferungen inzwischen auf 56 Mio. Kubikmeter gesteigert. Beim Wasser gibt es also keineswegs eine Situation der zunehmenden „Austrocknung“ der Palästinenser, sondern eine beiderseitige Verbesserung. Diese Verbesserungen gehen zum wesentlichen Teil auf die Leistungen des Industrielandes Israel, auf seine Sparsamkeitstechnologie und auf seine Wassergewinnung aus Meerwasserentsalzung zurück. Ausgerechnet beim Wasser will Schulz Israel den Prozess machen. Erst kürzlich hat Israel mit mehreren Nachbarn ein neues Abkommen zur Verbesserung der Wasserversorgung in der Region geschlossen. Vermutlich hat der EU-Parlamentspräsident das Wasserthema gewählt, um das umstrittene Siedlungsthema „anschaulich“ zu machen. Herausgekommen ist eine demagogische Einlassung, die mit Emotionen spielt. Denn bei diesem Thema gibt es den verbreiteten Irrtum, sich den „Verbrauch“ von Wasser so vorzustellen, als wäre das Wasser danach irgendwie „weg“. In Wirklichkeit zeichnen sich Industrieländer dadurch aus, dass sie einen hohen Wasserverbrauch mit einer hohen Recycling-Rate auffangen und sich auch bisher unbrauchbare Wasservorkommen erschließen (z.B. Meerwasserentsalzung). Die Einlassung des EU-Parlamentspräsidenten ist also recht dumm. Auch eine Anmaßung ist im Spiel: Die Anmaßung, man könne als EU-Parlamentspräsident Lehren erteilen, was für die Wasserversorgung im Nahen Osten das Richtige sei. Und es ist eine destruktive Einlassung, die das verunglimpft, was zwischen Israelis und Palästinenser ein großer Friedensfaktor sein könnte: Gerade beim Wasserthema liegt die Einsicht nahe, dass man durch Zusammenarbeit weiter-kommt als durch Konfrontation und dass der hohe Entwicklungsstand Israels ein Gewinn für die ganze Region ist.

 

Der weiche Hegemon II

Ende Februar besuchte die deutsche Bundeskanzlerin Israel und es kam zu einer bemerkenswerten Vereinbarung. Israel vertraut die konsularische Vertretung seiner Staatsbürger in Ländern, in denen es keine eigene Vertretung hat, Deutschland an. Bemerkenswert ist diese Vereinbarung mit Deutschland nicht nur wegen der deutschen Vergangenheit, sondern auch, weil offenbar die EU hier nichts zu bieten hat. Sie zeigt sich in den letzten Jahren erstaunlich anfällig für die Polemik gegen Israel gezeigt hat. Denken da vielleicht die Nationalstaaten, auch mittlerer Größe, eventuell internationaler als eine EU, die vor allem damit beschäftigt ist, ihre globale Wichtigkeit zu demonstrieren?

 

Der weiche Hegemon III

Die Schweiz hat also in einer Volksabstimmung, die die Regierung bindet, mit knapper Mehrheit beschlossen, die Immigration in die Schweiz zu begrenzen. Davon ist auch das Abkommen über gegenseitige Freizügigkeit, das die Schweiz mit der EU abgeschlossen hat, berührt. Nun gibt es eine bemerkenswerte Reaktion der EU. Sie will ihrerseits andere Abkommen mit der Schweiz überprüfen und eventuell aufkündigen. Abkommen, die den Handel, den Kapitalverkehr, die Verkehrsverbindungen, den Studentenaustausch etc. berühren. Das wirft die Frage auf: Sind Abkommen, die die EU mit Nachbarstaaten (Nicht-EU-Mitgliedern) schließt, immer Paketabkommen? Oder ist jedes einzelne Abkommen für sich schon ein fairer Interessensaus-gleich? Das zweite sollte sinnvoller Weise angenommen werden. Ein Abkommen über Verkehrsbauten, über Warennormung, über universitäre Kooperation ist auch dann sinnvoll, wenn es nicht mit der Migrations-freiheit verbunden ist. Die EU hat sich für ein Junktim verschiedener Abkommen entschieden. Offenbar hat sie den Druck im Auge, den man mit dem „großen Marktplatz EU“ auf ein kleines Land ausüben kann. Niemand käme auf die Idee, Handelsabkommen mit den USA an eine Änderung der dortigen restriktiven Einwanderungsgesetze zu koppeln. So versucht die EU nun in Fällen, wo sie sich stark fühlt, ihre Möglichkeiten hegemonialer Einflussnahme zu testen. Länder im Umkreis der EU, die mit ihr Verträge abschließen, müssen davon ausgehen, dass die EU alsbald versuchen wird, über weitere Normen und Sachverhalte dieses Landes mitzubestimmen.

 

Ironie

Man hat das Bundesverfassungsgericht bisweilen und nicht ohne Grund gescholten, sich allzu sehr in die Aufgaben der Legislative einzumischen und auf eigene Faust Politik zu machen. Aber beim Urteil über die Prozenthürden bei den Wahlen zum europäischen Parlament hat es staatsrechtliche Konsequenz bewiesen. Es hat die Prozenthürden gekippt – und zwar nicht deshalb, weil das Europa-Parlament so wichtig sei und so hohe Verantwortung trägt, sondern deshalb, weil es so wenig von dieser Verantwortung hat. Das europäische Parlament ist keine Repräsentation eines Souveräns, denn es gibt kein gemeinsames europäisches Staatswesen. Das Parlament hat keine den nationalstaatlichen Parlamenten übergeordnete Verantwortung und auch keine entsprechende Haftbarkeit für die eigenen Beschlüsse. Ein Parlament im eigentlichen Sinn, ein Parlament mit den konstruktiven Rechten und Pflichten des Souveräns, hätte Anspruch darauf, dass bei seiner Konstituierung eine übermäßige Parteienzersplitterung vermieden wird. Eine Versammlung, die eher Statements abgibt und allenfalls Einspruchsrechte hat, lässt bei seiner Konstituierung sinnvollerweise eine möglichst breites Spektrum von Parteien und Abgeordneten zu. Das Bundes-verfassungsgericht hat vorgemacht, wie man die schleichende Machtergreifung des Immer-Enger-Vereint-Europa am besten ins Stolpern bringt: durch ironische Unterstützung.

 

Politik ohne Staat

Es gibt eine Vorderseite des Falls Edathy, bei der es um den Missbrauch von 8- bis 12-jährigen Kindern in Bild und Ton geht. Und es gibt eine Rückseite, bei der es um die Weitergabe von Information geht, die die Gewaltenteilung und damit einen Eckstein des Staatswesens berührt. Nein, das ist keine ausgewachsene Staatsaffäre, doch müsste man hier von kleineren, aber anscheinend unaufhaltsamen Erosionserscheinungen des zeitgenössischen Staates sprechen. Die Weitergabe ist ja offenbar sehr leichtsinnig und bedenkenlos „informell“ erfolgt. Ebenso klingen die Ausreden und nachfolgenden Änderungen der Ausreden des Herrn Oppermann. Das alles passt zu weiteren Phänomenen, die man unter dem Stichwort „Politik ohne Staat“ verbuchen könnte: Die Politik des „Fahrens auf Sicht“, die über alles gestellte „gute Vernetzung“, der besondere Wert, den man auf das „gute Klima“ und „die Psychologie“ der Großen Koalition legt. Nein, ein extremer, aber einzelner „Skandal“ ist das nicht. Soll man da mahnend den Zeigefinger heben. Oder soll man nicht lieber zeigen, dass eine Politik, die versucht, ohne die strikten Regeln eines Staatswesens  auszukommen, sich solche Hintertreppen-Geschichten einhandelt. Warum also, in unseren Zeiten, immer brav die Rolle des Rufers in der Wüste spielen? In Zeiten des großen Koalierens kann ein bisschen Ironie nicht schaden: Vorwärts, vorwärts. Treibt es nur weiter so.

 

Befindlichkeiten und Werte

Von Seiten der OECD ist Kritik an den Rentenbeschlüssen der Großen Koalition geäußert worden. Lassen wir beiseite, ob die OECD als Kritiker glaubwürdig ist, hier soll ein Detail aus der Antwort der Kanzlerin interessieren. Es geht immerhin um den ausgabenfreudigen Kurs, der das Markenzeichen ihrer Großen Koalition ist. Sie erklärte, man habe „auf Befindlichkeiten“ eingehen müssen und von daher seien die Maßnahmen verantwortbar. Das nehmen wir zur Kenntnis und fügen nur hinzu: Wer befindlichkeitsorientierte Politik macht, kann nicht gleichzeitig beanspruchen, eine wertorientierte Politik zu machen.

 

Religion und Wissen

Vor 450 Jahren wurde Galileo Galilei geboren. Er ist nur eine Schlüsselfigur, die den Beginn der Moderne (im weiten Sinn der „Neuzeit“) markiert, ein „Kolumbus des Himmels“ gewissermaßen. Galileo ist aber auch oft als Kronzeuge für eine schroffe Gegnerschaft zwischen Religion und Wissen angeführt worden. Der Forscher als Vertreter des Lichts der Wahrheit, die römisch-katholische Kirche als finstere Vertreterin der Ignoranz. Diese Darstellung der Geschichte war für Universitäten und Wissenschaftler, die sich allmählich von der kirchlichen Einbindung lösten, attraktiv. Auch die Vorstellung, nur vom protestantischen Glauben führe ein Weg in die moderne Wirtschaftsweise, gehört zu diesem Bild einer schroffen Gegnerschaft zwischen Glauben und Forschen. Die historische Forschung hat freilich gezeigt, dass die römisch-katholische Kirche anfangs dem Forscher Galileo durchaus aufgeschlossen gegenüberstand (Papst Urban VIII. nannte ihn einen „Bruder“). Und umgekehrt pflegte auch Galileo einen engen Kontakt mit Fürsten und Kardinälen (er versorgte sie mit selbst gebauten Teleskopen versorgte). Offenbar kann es durchaus im Sinn des Glaubens sein, die Wunder der Schöpfung näher zu betrachten und ihren Zusammenhängen ein stückweit auf den Grund zu gehen. Überhaupt: Wenn die Renaissance zumindest eine Vorbereitung auf die Moderne geleistet hat, kann sie das nicht völlig gegen oder außer der damals noch mächtigen Kirche getan haben.

 

Das Geld und die Menschen

Das Geld muss den Menschen dienen“ hört man immer wieder von den christlichen Kirchen. Sind die Vertreter der Religion denn ihrer Kathedralen so überdrüssig?

 

Die Lage der Nation

Ein Artikel im Berliner Tagesspiegel vom 14.2., aus Anlass eines neuen Buchs des Ex-Kanzlers Schröders Geburtstag, holt noch einmal die Frage hervor, inwieweit die Agenda-Politik Schröders ursächlich ist für die relativ gute Position Deutschlands. Der Artikel weist darauf hin, dass die Ursachen für deutschen Erfolg mehrschichtig sind: die Agenda hat ihren Teil beigetragen, gewiss; aber auch die Lohnzurückhaltung, die auf die Sozialpartnerschaft von Unternehmen und Gewerkschaften zurückging, war ein Faktor. Drittens gab es auch ein objektives „Window of opportunity“: Die Nachfrage der Schwellenländer passte zu den Stärken der deutschen Industrie (Maschinenbau, Mittelklassewagen, Chemieanlagen, etc.). Doch wäre vor allem ein Sachverhalt gegenwärtig hervorzuheben, den der Artikel nicht erwähnt: Die „Agenda 2010“ war überhaupt das letzte Mal, dass so etwas wie eine Diskussion über die Lage der Nation stattfand.