20.07.2016

Nach den jüngsten Terrorangriffen wird gefordert, dass noch mehr für die „Integration“ getan werden müsse. Das beweist nur, dass die Migrationspolitik gar keine freie Wahl mehr ist, sondern im Schatten immer größerer Drohungen stattfindet. 

Die alltägliche Erpressung

Nach dem Terrorangriff auf einen Regionalzug in Würzburg ist die Reaktion der deutschen Regierung und der sogenannten Leitmedien katastrophal. Sie ist schlimmer als hilflos, sie ist eine Unterwerfung. Denn es wird nicht nur behauptet „Schutz vor solchen Tätern kann es nicht geben“ (Titel eines FAZ-Artikels am 20.7.), sondern es wurde in den Abendnachrichten von ARD und ZDF die Forderung erhoben, man müssen nun „noch mehr für die Integration“ tun. Diese Forderung richtet sich ganz direkt an die deutsche Bevölkerung. Denn seit in der Migrationskrise die neue Hauptaufgabe „Integration“ verkündet wurde, sehen sich kommunale Verwaltungen, Schulleiter, Unternehmer, Hauseigentümer und Familien vor die Entscheidung gestellt, ob sie die Personen, die pauschal und ohne Prüfung als „Flüchtlinge“ ins Land gelassen wurden, in ihre Wohnungen, Betriebe, Schulen und Kultureinrichtungen einlassen sollen. Personen, von denen wir spätestens jetzt wissen, dass sich hinter irgendeiner „scheuen“ oder „jugendlichen“ Fassade wahre Tötungsmaschinen mit dem Freibrief einer Rachereligion verbergen können. Personen, für deren Identität und innere Einstellung die Regierenden nicht die mindeste Garantie übernehmen können und auch nicht wollen. Denn die Regierenden haben schon seit längerem deutlich gemacht, dass sie in der Migrationskrise dem Schutz der Bevölkerung nicht die Priorität einräumen.

Würden sie das tun, dann müssten sie jetzt nicht nur jedwede weitere Einwanderung ohne Visa direkt an den Bundesgrenzen abweisen, sondern sie müssten auch alle die Vorhaben stoppen, die Personen ohne geklärte Identität und ohne eindeutig festgestelltes Aufenthaltsrecht in das deutsche Alltagsleben verteilen – und die damit das Aktionsfeld für Raub- und Gewalttaten jedweder Größenordnung eröffnen. Bekanntlich war der islamistische Angreifer bei einer vorbildlichen Pflegefamilie untergebracht und hatte eine Lehrstelle als Bäcker in Aussicht. Das hat seine Einstellung nicht im Mindesten berührt. Doch von den Regierenden, sofern sie nicht einfach auf Tauchstation gegangen sind (die Bundeskanzlerin), sind nur Appelle zu hören, dass wir „jetzt erst recht“ und „noch mehr“ Integration leisten müssen.

So wird nun deutlich, dass der Kurs der Regierung nicht nur eine einzelne, falsche Reaktion in einer Krisensituation (der Migrationswelle auf der Balkanroute) war, sondern dass er ein Destruktionsprogramm ist. Er ist buchstäblich „katastrophal“. Er bedeutet das Aufgeben der elementarsten Schutzverpflichtungen der Regierung, er nimmt eine nachhaltige Beschädigung unseres freiheitlich-demokratischen Lebensmodells im Namen der Globalisierung in Kauf. Denn auf der Plattform, auf der sich die „Flüchtlings-Integration“ vollziehen muss, kann die alltägliche Sicherheit unserer Grundrechte nicht mehr garantiert werden. Sie werden in einem offenen Prozess aufs Spiel gesetzt, dessen wöchentliche, ja sogar tägliche Bilanzen immer verheerender werden.

In dieser Lage ist der Blick auf die spektakulären Großangriffe des Terrors vielleicht weniger erhellend als der Blick auf die kleineren, alltäglichen Vorkommnisse und Mechanismen, mit denen die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie ausgehebelt wird. Und die dazu führen, dass die vielbeschworene „westliche Lebensform“ nicht mehr auf der eigenen Kraft beruht, sondern Andere um Erlaubnis bitten muss. Wir müssen über eine Erpressung sprechen, die sich mit der Migrationskrise in unser Land eingenistet hat und die längst die freiwillige humanitäre Hilfeleistung ersetzt hat. Sie hat verschiedene Facetten, aber sie beginnt immer mit einer Drohung: Wehe, wenn Ihr nicht dies oder das tut… dann wird es Euch schlecht ergehen. Dazu gehört zweifellos die Drohung mit dem demographischen Untergang, der Deutschland angeblich bevorsteht, wenn es nicht Millionen Zuwanderer aufnimmt. Aber es steht auch eine viel unmittelbarere Drohung im Raum: Wenn Ihr nicht etwas für die Migranten tut, dann werden sie ganz böse und dann wird Euer schönes buntes urbanes Leben kaputtgehen. Oder es wird die Erzählung des „Sie kommen sowieso“ aufgetischt, die damit droht, dass hunderte von Millionen Menschen, die sich auf den Weg machen, von keiner Grenze aufhalten lassen werden. Solche Drohkulissen können in den verschiedensten Sätzen und Gesten enthalten sein. Oft sind sie subtil, aber nicht weniger wirksam.

Die Enttäuschungstheorie

Die Gefahrenbeschwörungen kommen selten in politischen Grundsatzreden daher, sondern verstecken sich in einzelnen Sätzen und Wendungen von Statements und Kommentaren. Einige Kostproben:

„Ich will mit allen Mitteln verhindern, dass aus Enttäuschung Radikalisierung entsteht und der Rückzug aus der Gesellschaft.“ (Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, zit. in der FAZ vom 27.11.2015)

„Die Flüchtlinge werden auf lange Sicht hier bleiben. Werden sie jetzt nicht integriert, dann bilden sich Parallelgesellschaften. Es ist meiner Ansicht nach die größte Gefahr für die Europäische Union…Schauen Sie in den Brüsseler Stadtteil Molenbeek, in dem mehrere der Paris-Attentäter abgetaucht waren. Die Terroristen waren hier geboren, fühlten sich aber nicht als Teil der Gesellschaft. Wir müssen rechtzeitig in diese Menschen investieren, wollen wir sie nicht entfremden.“ (Corina Cretu, EU-Kommissarin für die Regional- und Strukturfonds, Interview mit „Die Welt Kompakt“ am 15.3.2016)

„Mehr Geld für die Integration von Flüchtlingen – das ist auch sicherheitspolitisch wichtig.“ (Reinhard Müller in der FAZ vom 24.3.2016)

„Der Verfassungsschutz machte im Flüchtlingsstrom des vergangenen Jahres 17 Personen aus, die im Auftrag des IS nach Europa gereist seien. Die Zahl der Migranten, bei denen wegen fehlender Perspektiven die Enttäuschung über den Westen programmiert ist, wird jedoch um ein Vielfaches höher sein.“ (Berthold Kohler, in seinem Kommentar „Die Vervielfältigung des Albtraums“ am 16.7.2016)

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 3.7.2016 wird ein Buch vorgestellt, dass sich mit der Tatsache gefasst, dass Terroristen häufig gehobene Bildungsbiographien aufweisen, also oft akademische Bildungsgänge absolviert haben (Diego Gambetta/Steffen Hertog, Engineers of Jihad, Princeton 2016). Als „Ursache“ wird den Terrorismus wird hier also die Enttäuschung der höher Gebildeten, die nicht eine entsprechende Position finden, angeboten. Die scheiternde höhere Karriere führt zur Radikalisierung. Das Erpressungspotential dieser „Erklärung“ des Terrorkriegs gegen den Westen ist unübersehbar und eignet sich bestens für Migrationsansprüche: Wenn Ihr uns keine adäquaten Posten anbietet, werden wir böse. Sehr böse. Dann werdet Ihr sehen, was Ihr bekommt, wenn Ihr unsere gehobenen Ansprüche nicht erfüllt. Man muss dazu wissen, dass die Hochschulausbildungen in der arabisch-islamischen Welt selten mit westlichen Leistungskriterien zu messen sind. Oft sind sie nur formale Lizenzen für höhere Posten in den Klientelhierarchien.

Wer in der Migrationskrise vor der Gefahr enttäuschter Ansprüche warnt, stellt also eine Verbindung zwischen „Flüchtlingen“ und „Radikalisierung“ her, die bisher immer vehement bestritten wurde. Zur Erinnerung: Als der bayrische Finanzminister Markus Söder aus Anlass der Pariser Attentate eine Ende der illegalen und unkontrollierten Zuwanderung forderte, erntete er die helle Empörung der vereinigten Blockparteien, die jegliche Verbindungsmöglichkeit zwischen Migration und Terror als übelste Demagogie brandmarkten. Inzwischen wurde die Propagandalinie offenbar umgestellt: Nun sind die großen und kleinen Gewalttaten aus Migrantenkreises auf einmal ein willkommener Beweis für die unzureichende Integration. So ist nun auch die Instrumentalisierung von Attentaten für die eigene Sache erlaubt.

Die kleinräumige, alltägliche Gewaltsamkeit

In den öffentlichen Schwimmbädern der Stadt Düsseldorf hat in jüngster Zeit die Zahl der sexuellen Übergriffe deutlich zugenommen. Das besagt jedenfalls eine Gesprächsnotiz der Düsseldorfer Polizei, über die „Bild“ am 4.Juli berichtet hat. Bei den Tätern soll es sich zumeist um jugendliche Migranten handeln, die häufig in Gruppen agierten und dadurch die Identifizierung von Einzeltätern erschwerten. Im WDR widersprach dann die Düsseldorfer Bädergesellschaft der polizeilichen Darstellung. Es gebe „keinerlei Auffälligkeiten“. Soll man also davon ausgehen, dass die Angelegenheit von der Polizei frei erfunden ist? Warum sollte sie das tun?

Die Meldung erscheint durchaus plausibel. In Berlin wird man sich Vorfälle im Neuköllner Columbiabad im Juli 2015 erinnern, wo ein Mob jugendlicher Migranten auf Bademeister, Sicherheitspersonal und ein Filmteam des RBB losging. Die Szenen, die die „Abendschau“ präsentierte, bleiben im Gedächtnis haften. Nicht nur wegen der Gewalttätigkeit von den „jungen Leuten“, die hier sichtbar wurde, sondern auch wegen der Machtergreifung, die hier so reibungslos gelang. Wie dumm ist da die Behauptung, dass eine Million Neu-Migranten bei einer deutschen Stammbevölkerung von 80 Millionen doch kein Problem sein könne. Das kann nur jemand behaupten, der nur mit dem makrostatistischen Fernrohr auf die Welt schaut. Direkt vor Ort, im kleinräumigen Maßstab können kleine Gruppen schnell diktatorische Mehrheiten herstellen.

Die FAZ berichtet am 9.7.2016 über eine Besetzung des Regensburger Doms durch 40 Migranten aus dem Kosovo. Und mitten im Artikel schreibt der Autor, dass es das Ziel der Gruppe sei, „ein Bleiberecht für alle von Ihnen zu erzwingen“. Das steht da so beiläufig, als sei es inzwischen in Deutschland normal geworden, etwas durch Besetzungen „zu erzwingen“. Dabei ist die Frankfurter Allgemeine im Spektrum der großen deutschen Zeitungen gewiss nicht das Blatt, das Recht und Gesetz besonders fern steht. Umso bedenklicher, dass auch hier eine Schreibe einreißt, die den Rechtsbruch ohne Aufmerksamkeit passieren lässt.

Die erste Unterwerfung und ihre Folgen

Für die heutige, anwachsende Gewaltsamkeit und die Wehrlosigkeit, mit der Deutschland ihr ausgeliefert ist, gibt es ein Schlüsselereignis – das Nachgeben gegenüber dem Migrationsdruck auf der Balkanroute durch die Bundeskanzlerin im vergangenen Sommer. Seit dieser Entscheidung steht die deutsche Migrationspolitik nicht mehr unter dem Zeichen der Freiwilligkeit, sondern unter dem Zeichen des Zwanges (der Erpressbarkeit durch Druck von außen). Die weiteren Ereignisse und die Weiterungen der Migrationskrise gehen auf diese erste Unterwerfung zurück. Der erfolgreich erzwungene Zugang setzt sich nun an vielen weiteren Türen und Toren fort. Es wäre naiv zu glauben, dass diejenigen, die durch den Druck der (Migrations-)Straße zum Erfolg gekommen sind, von diesem Hebel nicht auch weiter Gebrauch machen. Das gilt nun im Innern Deutschlands, aber auch auf den Zugangsrouten wird täglich versucht, die erste erfolgreiche Erpressung fortzusetzen. Die FAZ berichtet am 11.7.2016 über ein neues Einsickern von Migranten nach Mitteleuropa über Nebenrouten auf dem Balkan. Und an der europäischen Südgrenze zwischen Italien und Libyen gibt es offenbar keinerlei Abweisung und Rückführung von Zuwanderern.

In dem FAZ-Artikel wird ein Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNCHR zitiert, der die ungarische Praxis, illegale Grenzüberschreiter umgehend wieder über die Grenze zurückzubringen, als Verletzung der Menschenrechte bezeichnet – weil die Ungarn sie „ohne jegliches rechtliche Verfahren gewaltsam ausweisen“ würden. Die UNCHR behauptet hier ein „Menschenrecht“, das es jedermann erlaubt, durch gewaltsames Eindringen in ein fremdes Land dort ein gerichtliches Verfahren zu erzwingen. Das wäre eine Prämie für Grenzverletzung, weltweit.

Auf derselben Seite der FAZ vom 11. Juli, auf der über die Balkanroute und das UNCHR-Statement berichtet wird, findet sich auch ein Interview mit Ertharin Cousin, der Exekutivdirektorin des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen. Das Interview steht unter der Überschrift „Die Menschen werden nicht dort bleiben, wo sie keine Hoffnung haben.“ Hier ist nicht die Frage, ob die Migration rechtens ist oder ob sie für die Weiterentwicklung der Völkergemeinschaft vernünftig ist. Frau Cousin spricht nur von einem Erwartungsdruck, gegen den jeder Widerstand zwecklos ist: „Heute kann jeder die Chancen, die er hat, mit denjenigen vergleichen, die andere an anderen Orten haben“. Auch in ihrem Welternährungsprogramm ist der Schatten einer versteckten Drohung spürbar.

 

 

(erschienen in meiner Kolumne bei „Tichys Einblick“ am 22.7.2016)