(Aus dem Archiv, Jahrgang 2010)
Nach dem globalen Klima-Syndrom kommt nun der „Feinstaub“-Komplex

Die Bedrohung aus dem Zwergenreich

2.Februar 2010

Das Foto zeigt zwei lachende Kinder im Grünen mit Luftballons. Darunter ist zu lesen: „Unsichtbar verheerend: Luftverschmutzung ist da am gefährlichsten, wo sie niemand sieht.“ So steht es in der Feinstaubbroschüre des Bundesumweltministeriums von 2005. Die Darstellung zieht alle Register des Unheimlichen. „Abermilliarden feinster Teilchen“ umgeben uns – je kleiner, desto gefährlicher. Hinter der Größenklasse PM 10 lauern schon die viel schlimmeren Giftzwerge PM 2,5. Was wird erst sein, wenn wir PM 0,1 messen können? Die suggestive Bildsprache tut ihre Wirkung. In unzähligen Medienberichten ist inzwischen die Behauptung übernommen worden, dass die Teilchen „in die Organe wandern“ und dort schwere, sogar tödliche Erkrankungen verursachen. Liest man in den zitierten Studien für die Weltgesundheitsorganisation WHO nach, findet man keine Erkenntnisse über Wirkungsvorgänge sondern nur statistische Beziehungen: Wo sich Feinstaub-Mengen häufen, häufen sich auch bestimmte Erkrankungen. Aber an solchen Orten, wie zum Beispiel Ausfallstraßen in Großstädten sind bei den Bewohnern auch andere Belastungen gehäuft im Spiel: engere Wohnungen, Lärm, schwere Berufstätigkeiten, weniger Erholung, eine ungesunde Lebensführung. Eine Verursachung, wie sie etwa beim Asbest erwiesen ist, wird mit keiner der vorliegenden Studien belegt. Das Internet-Lexikon Wikipedia resümiert: „Ein wissenschaftlich bewiesener biologischer Wirkungsmechanismus ist nicht bekannt“. Doch mit solchen Problemen hält sich die Feinstaub-Kampagne gar nicht auf. Sie ist schon weiter und rechnet uns vor, dass jährlich 310.000 Todesfälle vorzeitig durch Feinstaub eintreten und Verluste von 80 Mrd. Euro soll er verursachen. Solche Zahlen beeindrucken immer. Sie suggerieren wissenschaftliche Exaktheit – und sind doch nur ein Bluff: durchgespielte Modellrechnungen, deren Grundannahmen nicht erhärtet sind.

„Feinstaub“ ist eine Sammelgröße, zu der so unterschiedliche Dinge wie Reifenabrieb, Dieselruß, Schüttgüterstaub, Saharastaub oder Salzstaub aus der Meeresbrandung gehören. Es gibt Feinstäube, denen die Menschen seit Urzeiten ausgesetzt sind. Es gibt großräumige Unterschiede der Feinstaub-Belastung bei ähnlicher Lebenserwartung der Menschen: Lissabon hat die dreifache Belastung von London; an der Alpensüdseite ist sie doppelt so hoch wie an der Nordseite. Daraus kann man folgern, dass allein die Winzigkeit gar kein ausreichendes Kriterium für die Gefährlichkeit eines Stoffs ist. Der Oberbegriff „Feinstaub“ führt in die Irre. Die Bedrohung aus dem Zwergenreich ist ein Mythos.

So spräche alles dafür, sich auf die Erforschung der unterschiedlichen Mikroteilchen zu konzentrieren. Welche Partikeltypen sind wirklich gefährlich und welche nicht? Offenbar gibt es auch hilfreiche Zwerge, denn die Nanotechnik gilt als Zukunftsbranche. Durchaus würde es die Vorsicht gebieten, hochverdächtige Teilchen wie die Dieselruß-Partikel durch Filter an der Quelle zu bekämpfen. Aber stattdessen wird hartnäckig an der pauschalen Bedrohungsgröße „Feinstaub“ festgehalten. Statt konkrete Gefahren zu isolieren, werden lieber die Menschen in den Städten unter ein pauschales Sonderrecht gestellt: die „Umweltzone“. Auch hier ist Suggestion am Werk. Die „Zone“ erweckt den Eindruck, als würden hier die bösen Teilchen am Eindringen gehindert. Das ist eine dreiste Täuschung, denn ausgesperrt werden nur bestimmte Fahrzeuge. Der Großteil des Feinstaubs, einschließlich der gefährlichen Russpartikel, weht weiter ungehindert in die Umweltzonen. Ist die Großwetterlage günstig, zeigen die Messstationen gute Werte. Ist sie ungünstig, sind wir wieder im alten Zustand. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg, dass die Umweltzonen für ihre Bewohner eine Verbesserung bringen.

Aber es gibt einen Missbrauch des Umweltthemas, bei dem alles im Vagen gehalten und die Umwelt zur Drohkulisse aufgebaut wird. Dort wird dann ein Expertenwissen suggeriert, das geheimnisvolle Wirkungen kennt. Da scheut sich der Laie, einfache Fragen des gesunden Menschenverstands zu stellen. Die Manipulationen beim Klimabericht („Himalaya-Schmelze“) zeigen, wie bedenkenlos Falschmeldungen in einer Grauzone zwischen Umweltlobby und Wissenschaft in Umlauf gehalten werden. Der Feinstaub-Mythos vom bösen Zwergenreich ist ein weiteres Beispiel. Der Staat hätte eigentlich die Aufgabe, die Skepsis der Bürger gegen solchen Aberglauben zu stärken. Aber das Regieren im Schatten nebulöser Drohkulissen ist bequemer.

 

(Manuskript vom 2.2.2010, erschienen als Leitartikel in der Tageszeitung „Die Welt“ am 6.2.2010 unter der Überschrift „Zwergteilchen als Riesenproblem“)