Mit dem Richterspruch aus Luxemburg bekommt die EU einen weitreichenden Zugriff auf die nationalen Finanzierungssysteme der Verkehrs-Infrastrukturen    

Das Maut-Urteil gegen Deutschland – Schwarzfahren im Namen Europas

25. Juni 2019

Es ist tatsächlich eine böse Überraschung. Man ist ja schon einiges an Willkür und Anmaßung von EU-Institutionen gewöhnt, aber in Deutschland hatte man doch erwartet, dass das Luxemburger Richter-Gremium namens „Europäischer Gerichtshof“ (EuGH) das vom Bundestag beschlossene Gesetzespaket zur Veränderung der Straßenfinanzierung („Maut-Gesetz“) nicht beanstanden würde. Zu offensichtlich ist die Schieflage zwischen Nutzung und Bezahlung im internationalen Verkehr auf deutschen Straßen. Man war sich der Rechtmäßigkeit des eigenen Anliegens so sicher, dass man nicht einmal genauer prüfte, ob und inwieweit der EuGH überhaupt autorisiert ist, über Fragen der Infrastruktur-Finanzierung zu urteilen und damit in die Finanzhoheit der nationalen Mitgliedstaaten der EU einzugreifen. Doch nun ist genau das geschehen. Der EuGH hat das deutsche Mautgesetz für „nicht mit europäischem Recht vereinbar“ erklärt und seine Inkraftsetzung untersagt. Es hat das nicht wegen einzelner Details getan, sondern es hat das deutsche Gesetz in seiner Grundanlage verworfen – weil es neben der Einführung eines Elements „Gebührenfinanzierung“ auch eine Reduzierung des Elements „Kraftfahrzeugsteuer“ enthält.  
Ein EU-Gericht zementiert damit die krasse Diskrepanz, die auf deutschen Autobahnen und Bundestraßen herrscht – zwischen einem stark angewachsenen internationalen Verkehr und einer weitgehend innerdeutschen Finanzierung. Die Berufung auf die Verkehrsfreiheit hört sich liberal an, ist aber eine Irreführung. Denn das Recht, dass internationaler Autoverkehr auf deutschen Straßen stattfindet, ist gar nicht in Frage gestellt. Es geht um die Finanzierung der Kosten, die diese Verkehrsfreiheit verursacht. Hier liegt die Diskrepanz zwischen Nutzung und Finanzierung, die das deutsche Maut-Gesetz zwar nicht völlig beseitigt, aber doch verringert.

Die bestehende fundamentale Diskrimierung

Diese Diskrepanz ist als klassisches Grundproblem bei allen öffentlichen Infrastrukturen wohlbekannt: Man spricht vom „Schwarzfahrer-Syndrom“. Es besteht im Kern darin, dass die öffentliche Zugänglichkeit von Infrastrukturen – besonders denen mit einem großen Einzugsgebiet und Nutzerkreis – es schwer macht, eine angemessene Zuordnung der Kosten zu gewährleisten. Das lädt zum „Schwarzfahren“ ein, das oft auch zu Übernutzung und Verfall führt. Auf jeden Fall verursacht es bei denjenigen, die die Infrastrukturen bauen, pflegen und erneuern müssen – also ihren „Trägern“ – hohe Belastungen ohne Ausgleich. Man kann von einer fundamentalen Diskriminierung sprechen.
Auf deutschen Fernstraßen findet vor unseren Augen ein doppeltes Szenario statt: Wir sehen täglich massenweise KFZ mit Kennzeichen unserer Nachbarländer. Das Phänomen beschränkt sich schon lange nicht mehr auf die grenznahen Regionen, sondern ist quer durch Deutschland zu beobachten. Deutschland ist – nicht nur bei den LKW, sondern auch bei PKW und Kleintransportern – zu einer europäischen Verkehrsdrehscheibe geworden. Und dann gibt es eine zweite Alltagserfahrung: die Baustellen. Jede von ihnen erinnert uns daran, dass die Straßen nicht einfach „da liegen“, sondern dass sie mit hohem Aufwand gebaut und unterhalten werden müssen. Doch die Finanzierung dieses Aufwands trägt nicht die Nummernschilder der anderen Nationen. Sie geschieht durch die öffentlichen Haushalte in Deutschland und durch diejenigen, die hier Steuern zahlen.
Gewiss, dies Bild ist etwas überzeichnet. Denn die Auslands-PKW tragen wie die Inlands-PKW über die Sprit-Steuern zu den Straßenkosten bei. Und alle LKW entrichten schon seit einiger Zeit ihre Maut. Aber dennoch ist die Maut-Lücke bei den Auslands-PKW unübersehbar: Von den drei möglichen großen Töpfen der Straßenfinanzierung (Sprit-Steuer, KFZ-Steuer, Maut-Gebühren) zahlen sie bisher nur in den ersten Topf, während die Inlands-PKW in den ersten und zweiten Topf zahlen. Der dritte Topf existiert hier noch nicht. Wenn es nach dem geplanten Mautgesetz ginge, würden die Inlands-PKW in alle drei Töpfe einzahlen, während die Auslands-PKW für Topf 1 und Topf 3 herangezogen werden. Da es nicht möglich ist, die Auslands-PKW auch für Topf 2 zahlen zu lassen, muss die Systemgerechtigkeit dadurch hergestellt werden, dass die Inlands-PKW bei der KFZ-Steuer entlastet werden. Das muss in einem Zug mit Einführung der Maut in Deutschland geschehen. Genau darin besteht das Reformpaket, das mit „Maut-Gesetz“ bezeichnet wird. Es ist eigentlich völlig logisch und legitim.      

Wie der EuGH die Diskriminierung umdreht

Wie kann es da zu dem ablehnenden Urteilsspruch aus Luxemburg kommen? Haben wir etwas übersehen? Gibt es eine andere Realität, die nur der EuGH von seiner hohen Warte erkennen kann? Schauen wir also auf das Urteil – soweit das im Moment möglich ist (das schriftliche Urteil lag bei Abfassung dieser Kolumne nicht vor). Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (19.6.2019) berichtet auf ihrer Titelseite über das Maut-Urteil und deren Begründung mit der gleichzeitigen Entlastung bei der KFZ-Steuer. Der Artikel gibt den Einwand des Gerichts wird folgendermaßen wieder: „Genau diese spiegelbildliche Entlastung führe dazu, dass die Belastung (durch die Maut, GH) vor allem EU-Ausländer treffe, stellten die Luxemburger Richter am Dienstag fest. Das sei eine verbotene mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.“
Eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit? Haben die Luxemburger Richter im Mautgesetz einen neuen Fall von Ausländer-Feindlichkeit und Nationalismus entdeckt? Man traut seinen Augen nicht. Aber ein Artikel im Wirtschaftsteil der FAZ (ebenfalls am 19.Juni) stellt die Formel „Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit“ sogar als wörtliches EuGH-Zitat dar:
 „Die Luxemburger Richter stellen in ihrem Urteil fest, dass die Infrastrukturabgabe in Verbindung mit der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer, die den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen zugutekommt, eine `mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit´ darstelle. Zudem verstoße sie gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs. Die wirtschaftliche Last dieser Abgabe liege allein bei den ausländischen Autofahrern.“
Die Behauptung, dass es bei der KFZ-Steuer um die „Staatsangehörigkeit“ geht, ist eine kapitale Falschdarstellung. Nicht die Staatsangehörigkeit entscheidet, sondern der Wohnsitz. Wer in Deutschland seinen überwiegenden Wohnsitz hat, meldet sein Fahrzeug hier bei der KFZ-Zulassungsstelle an und zahlt die deutsche KFZ-Steuer – unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit. So kommt es zum Beispiel, dass man in Berlin – mit seinem hohen türkischen Bevölkerungsanteil – kaum ein Auto mit türkischen Kennzeichen sieht. Die Berliner PKW-Halter mit türkischer Staatsbürgerschaft würden daher durch das beschlossene Maut-System genauso bei der KFZ-Steuer entlastet wie die Halter mit deutscher Staatsbürgerschaft. Umgekehrt gibt es in Berlin recht viele Spanier, Franzosen, Polen, usw., die jahrelang in Berlin wohnen, aber ihre Fahrzeuge nicht ummelden und sich die deutsche KFZ-Steuer sparen. Sie würden logischerweise nicht entlastet. Wo ist da eine Diskriminierung von „ausländischen Autofahrern“? Nicht um die Herkunft der Autofahrer geht es, sondern um den Status der Autos. Die Bezugnahme auf die Staatsbürgerschaft ist eine kaum glaubliche fachliche Fehlleistung der Luxemburger Europa-Richter.

Kreative Wortpolitik  

Nun ist in der zitierten EuGH-Begründung von „mittelbarer Diskriminierung“ die Rede. Was mag das „mittelbar“ bedeuten? Das spielt auf irgendwelche indirekten Wirkungen an, die aber nirgends präzisiert werden. Feststeht, dass gegenwärtig eine Diskriminierung von Inlands-PKWs und ihrer Halter (gleich welcher Nationalität) beim Kosten-Nutzen-Verhältnis auf unseren Autobahnen und Bundestraßen vorliegt. Eine Korrektur dieser Diskriminierung ist nur durch eine Lasten-Umverteilung möglich. Also dadurch, dass die bisher Privilegierten eine zusätzliche Last und – gegenüber dem bisherigen Zustand – einen einseitigen, überproportionalen Nachteil hinnehmen müssen. Wie sonst soll die Diskriminierung behoben werden? Es gibt keine Politik gegen bestehende Diskriminierungen, die bei den Mitteln der Korrektur nicht einseitig wäre. Der EuGH erfasst die einseitige Belastung der Inlands-PKW in Deutschland nicht als Diskriminierung, und zugleich dehnt er mit dem Wörtchen „mittelbar“ den Diskriminierungs-Begriff so weit, dass er jeden Lastenausgleich trifft. Damit können die Europa-Richter praktisch jede nationale Steuer-Entlastung bei der Infrastruktur-Finanzierung als „Ausländer-Diskriminierung“ darstellen. So wird der EU ein umfassender Zugriff auf die Infrastrukur-Finanzierung (und damit auf die Finanzhoheit der EU-Mitgliedsstaaten) verschafft – der ihr nach den gültigen europäischen Verträgen gar nicht zukommt.   

Im FAZ-Artikel heißt es, dass für den EuGH die „spiegelbildliche Entlastung“ der entscheidende Ablehnungsgrund sei. Was mag diese Spiegel-Theorie bedeuten? Man denkt an Geld-Verschiebungen. Bedeutet das Maut-Gesetz eine Art Quer-Finanzierung? Zunächst einmal: Es sind nicht die Maut-Gebühren der Auslands-PKW, aus denen die Reduktion der KFZ-Steuer der Inlands-PKW bezahlt wird, denn die Inlands-PKW zahlen auch die neue Maut. Es findet aber auch keine „Rücküberweisung“ der von ihnen gezahlten Maut statt – die Entlastung erfolgt aus einem anderen Topf, dem der KFZ-Steuer. Dass die Verringerung der KFZ-Steuer exakt in der gleichen Höhe erfolgt, in der die Mautzahlung entrichtet wird, bedeutet keineswegs im rechtlichen Sinn, dass die Maut-Gebühren zurückbezahlt werden. Es handelt sich vielmehr um eine parallele Maßnahme bei einem anderen, eigenständigen Topf. Es entsteht ein neues Drei-Quellen-Finanzierungssystem. Gewiss liegt der Sachverhalt, dass in einer Bilanz unterschiedliche Zahlungen gleich hoch sind, sehr dicht bei dem Sachverhalt, dass eine Zahlung und eine Zurückzahlung stattfindet, aber es wäre verheerend, wenn die rechtsprechende Gewalt nicht mehr in der Lage wäre, zwischen „gleich hoch“ (Lastenausgleich) und „zurück“ (Zurückzahlung) zu unterscheiden.
Betrachtet man das deutsche Maut-Gesetz als Lastenausgleich, ist schleierhaft, warum es nicht rechtmäßig sein soll, dass er im Verhältnis 1:1 und zeitgleich erfolgt. Würde er rechtmäßig, wenn er „ein bisschen niedriger“ oder „ein bisschen höher“ wäre? Oder wenn er einige Monate früher oder später in Kraft träte? Absurdistan lässt grüßen.

Eine europäische Rechtsprechung, die mit zweierlei Maß misst

Das EuGH-Urteil gegen die deutsche Maut wird noch krasser, wenn man es vor dem Hintergrund der real in Europa praktizierten Finanzierungssysteme und Mautformen betrachtet. Kerstin Schwenn schreibt in einem Kommentar im Wirtschaftsteil der FAZ (ebenfalls 19.6.2019):
„Dass andere Länder ihre Gäste kräftig zahlen lassen, weiß jeder der einmal in Österreich oder der Schweiz, in Frankreich, Italien oder Spanien unterwegs war. Der Wegezoll dort übertrifft den geplanten Preis der deutschen Jahresvignette rasch. Dass andere kassieren, ist indes kein ausreichendes Argument. Denn die Einheimischen zahlen dort eben auch, etwaige Kompensationen wurden einfach geschickter eingefädelt. Die deutsche Maut ist ein wenig auch an ihrer Plumpheit gescheitert.“
Der Diskriminierungs-Vorwurf des EuGH gegen das deutsche Mautsystem ist ein Hohn angesichts der schon bestehenden Straßenfinanzierungen in Europa. Wenn die FAZ-Journalistin schreibt, dass andere Länder die Kompensationen „geschickter eingefädelt“ haben, sagt sie eigentlich, dass die Europa-Richter mit zweierlei Maß messen. Doch die oben zitierte Passage nimmt eine merkwürdige Wendung: Sie richtet ihre Kritik nicht gegen den EuGH und fordert ein Urteil nach den Kriterien des Rechts, sondern sie gibt die Schuld Deutschland. Es heißt, das deutsche Maut-Projekt sei an seiner eigenen „Plumpheit“ gescheitert. Damit wechselt die Autorin von der Sprache des Rechts in die Sprache der Machttaktik und da ist eine Kritik am Urteil des „Europäischen Gerichtshofes“ offenbar von vornherein ausgeschlossen. So will der FAZ-Kommentar Deutschland belehren, wie es mit dieser höheren Macht umzugehen hat. Einer Macht, der man sich ohne Rücksicht auf das Recht unterwirft.

Und natürlich taucht in diesem Kommentar auch wieder das Geraune vor einer „intelligenten Lösung“ durch eine feinere Strecken-Erfassung auf. Der Autorin ist offenbar nicht aufgefallen, dass das EuGH-Urteil gar nicht bei den Strecken ansetzt, sondern bei der Kompensation. Es lässt keine kompensierende Entlastung zu, die nicht für alle PKW-Fahrer gilt, die Maut zahlen. In Deutschland kann man das tollste metergenaue, digitale System installieren – das EuGH würde das System trotzdem verwerfen, wenn diejenigen Autofahrer, die schon in den deutschen KFZ-Steuertopf zahlen, dort entlastet würden. Die Narren der „intelligenten Lösung“ haben noch gar nicht gemerkt, wie weit dies Urteil geht.  

Eine Entscheidung, die tief in die nationalstaatlichen Systeme der Infrastruktur-Finanzierung eingreift

Aus Anlass der Vorlage eines Maut-Gesetzes in Deutschland hat der Europäische Gerichtshof also ein weitreichendes Urteil gefällt, das tief in die bisher überwiegend nationalstaatliche Infrastruktur-Finanzierung eingreift. Dieser Eingriff ist einseitig: In einer Situation, in der der internationale Verkehr einen wachsenden Anteil an der Nutzung der (weitgehend national gebauten und unterhaltenen) Straßen hat, verhindert das Urteil eine Anpassung der Finanzierungssysteme. Es verhindert, dass neue nutzungsbezogene und daher international wirkende Abgaben verbunden werden mit entsprechenden Entlastungen bei den national wirkenden Abgaben (hier: bei den KFZ-Steuern). Das ist nicht sachgerecht, sondern folgt einem blinden Gleichheitsdiktat, dass die besonderen Vorleistungen auf nationaler Ebene, die der Europa-Verkehr nutzt, nicht berücksichtigt. So kann das massive Schwarzfahrer-Syndrom, das im Zuge der Europäisierung entstanden ist, nicht korrigiert werden. Die tägliche Subventionierung des Europa-Verkehrs auf deutschen Straßen geht weiter. Zugleich wird den Inlands-PKW wird eine Entlastung bei ihrem Finanzbeitrag vorenthalten. Einmal mehr zeigt sich, dass das vielzitierte Immer-Enger-Vereint-Europa verdeckte Einseitigkeiten bei den Belastungen enthält und entsprechende Gewinner- und Verlierermilieus. Und im Coup der Luxemburger Richter zeigt eine beträchtliche Bereitschaft, diese Einseitigkeit zu ignorieren, und eine beträchtliche Energie, sie zu protegieren.

Nein, das Vorgehen der verschiedenen EU-Institutionen hat nicht den Charakter eines organisierten „Feldzugs“. Es ist eher eine „vortastende“ Besetzung von Kompetenzen, die außerhalb der bestehenden EU-Verträge liegen. Das vorliegende EuGH-Urteil gehört dazu. Es greift weit in jene Teile der Infrastrukturfinanzierung ein, die der Finanzhoheit der Mitgliedsstaaten vorbehalten ist. Das Königsrecht ihrer Parlamente, das Haushaltsrecht, wird weiter aushöhlt. Das Urteil ist also für alle EU-Staaten bedeutsam. Das darin enthaltene Verbot nationaler Entlastungsmaßnamen ist angesichts der Pläne für eine zusätzliche „Klima-Rettungs-Abgabe“ auf den Straßenverkehr bedeutsam. Einer solchen europaweiten Abgabe wären die Mitgliedsstaaten ausgeliefert, ohne Kompensationen im nationalen Rahmen beschließen zu können.

Deutschland als Einfallstor

Die Bundesrepublik wird für diese Zugriffspolitik offenbar als Einfallstor benutzt. Zum einen hat das gut ausgebaute und in der Mitte Europas liegende deutsche Autobahnsystem für die Europäisierung der Straßeninfrastruktur eine Schlüsselstellung. Es ist eine Art Landnahme: Man behandelt die deutschen Autobahnen, als gehörten sie schon nicht mehr zu Deutschland, sondern wären gleichsam „exterritorial“ und direkt unter europäischer Verwaltung und Rechtsaufsicht. Zum anderen erscheint diese Landnahme gegenüber Deutschland auch leichter durchsetzbar, weil hier besonders starke Tabus bei der EU-Kritik bestehen und besonders empfindlich auf den Vorwurf des Nationalismus (Diskriminierung „ausländischer Autofahrer“) reagiert wird. Die Vermengung zwischen Mautgesetz und Staatsbürgerschaft, die der EuGH vorgenommen hat, ist sicher kein rein zufälliger Fehlgriff.  
Umso dümmer ist der eilige Gehorsam, der von deutschen Politikern und Medien zum Luxemburger Urteil signalisiert wurde. Jegliche kritische Nachfrage in Richtung EuGH fiel dem Europa-Tabu zum Opfer, von der Überprüfung einer möglichen Kompetenz-Überschreitung der Europa-Richter durch das Bundesverfassungsgericht ganz zu schweigen. Dabei sollte gerade dieses Urteil – so begrenzt seine unmittelbaren finanziellen Folgen sein mögen – aufhorchen lassen. Denn hier soll Deutschland allein in Vorleistung gehen und auf ein Recht verzichten, während andere Länder noch ihren Maut-Systemen und Ausgleichsmechanismen weitermachen. Der Richterspruch aus Luxemburg gibt eine Ahnung davon, dass Deutschland vielleicht doch nicht der große Gewinner der Europäisierung ist.

Dieser europäische Wind wird uns bald bei größeren Themen ins Gesicht wehen.

(erschienen in meiner Kolumne bei „Tichys Einblick“ am 28.6.2019)